ARCHIV
 
Generalversammlung 2011, vom 7. Mai 2011

Ambulatorium und Gesundheitsposten von Ambe Banaan
Dr. med. Bigna Rambert

 
Wie Sie alle wissen, war unser Ambulatorium in diesem Betriebsjahr 5 ½ Monate geschlossen. Abdullahi beschrieb uns das Szenario dieses Willküraktes der Al Shabaab in seinem Mail anfangs September 2010 folgendermassen: "4 Tage nachdem Médecins du Monde die Leitungsaktivitäten übernommen hatte, kam ein Mitglied der lokalen Behörde ins Ambulatorium (über 15O Patientinnen und Patienten warteten auf ihre Behandlung) und befahl dem Personal die Arbeit zu stoppen und sagte, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten zusammen mit den Patientinnen und Patienten nach Hause gehen".

Wir werden Ihnen deshalb heute keine Statistiken über die Tätigkeit des Ambulatoriums vorlegen. Sondern: im Interesse einer möglichst grossen Transparenz unsrerseits, wollen wir die Ereignisse im Zusammenhang mit dieser Schliessung schildern.

Kooperation mit Médecins du Monde
An der letzten Jahresversammlung haben wir Ihnen ausführlich über unsere Pläne einer Kooperation zwischen New Ways und Médecins du Monde berichtet. Bereits damals kam es zu Behinderungen durch Al Shabaab.

Al Shabaab begann sich in der Folge auch zunehmend dreist und willkürlich in die tägliche Arbeit des Ambulatoriums von New Ways einzumischen. - zum Glück, durch die vielen Funktionärswechsel in ihrer eigenen Administration, für uns nicht immer nachhaltig -. So schrieb beispielsweise Abdullahi am 23. Juli 2010: " der Distriktkommissar teilte uns mit, dass der Name für das New Ways Ambulatorium nun "Moalim Adan Hospital" sei und dass er in Zukunft die Ausführung der Pflichten und Dienstleistungen überwachen werde". Der Name Moalim Adan Hospital - nach unsrem Stand der Informationen in Anlehnung an den Namen eines gefallenen Al Shabaab Kämpfers - ist geblieben.

In diesem allgemeinen Kontext konnte Mitte August dennoch ein Treffen zwischen New Ways und dem neuen Koordinator von Médecins du Monde in Merka stattfinden.

New Ways und Médecins du Monde einigten sich detailliert auf einen 4 - monatigen Kooperationsvertrag ab dem 1. September 2010. Für alle schwierigen anstehenden Fragen fanden unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Médecins du Monde vor Ort eine Lösung. Médecins du Monde investierte in die Ausstattung unseres Ambulatoriums für diesen Neuanfang mehrere tausend US Dollar.

Für uns vom Vorstand in Zürich schien nicht nur der Weg in eine eventuelle neue Zukunft vorbereitet - sondern er entwickelte sich erst noch gemäss unseren "Basis-Idealvorstellungen, nämlich Entscheidungsprozesse sollen möglichst von unten nach oben stattfinden "- Ideale die ja auch von Vre geteilt wurden.

Unsere New Ways Ambulatoriums-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freuten sich auf die respektable Lohnerhöhung, die sich aus der Zusammenarbeit ergab. Sie akzeptierten auch die anspruchsvollen Bedingungen einer professionellen Begleitung durch Ärzte von Médecins du Monde aus Nairobi. Dann kam die plötzliche Schliessung.

Kleiner Exkurs zur allgemeinen politischen Lage zur Zeit der Schliessung unseres Ambulatoriums Zur gleichen Zeit lancierte die Al Shabaab landesweit - in diesem Ausmass erstmalig - eine konzertierte Gelderpressungsaktion. Am 1. September 2010 wurde New Ways wie allen anderen Nichtregierungs-Organisationen in Merka befohlen, innerhalb von 15 Tagen 10 000 Dollar an die Al Shabaab zu übergeben. Hatte sich die lokale Al Shabaab von Merka bei viel kleineren Geldforderungen früher noch pro forma eine zivile Tarnung angezogen, wurde bald klar, dass es sich bei dieser landesweiten Aktion um Geld für militärische Zwecke handelt. Es gab nicht einmal eine Tarnbegründung! Nicht zuletzt auch über unsere Vernetzung mit Médecins du Monde waren wir gut über die Lage informiert. Bereits am 25. August 2010 beschlossen an einer Nichtregierungs-Organisationen-Konferenz in Nairobi alle anwesenden Hilfswerkvertretungen aus Somalia dieser Erpressung aus Prinzip nicht Folge zu leisten. Auch der Ältestenrat von Merka habe diese Meinung geteilt. Bezüglich des konkreten Vorgehens gab es unter den diversen Nichtregierungs-Organisationen jedoch keinen Konsens - und vor allem auch keine gemeinsame öffentliche Plattform in Somalia oder gar eine Widerstandsstrategie.

In den folgenden Wochen entstanden in Merka viele, jedoch nie objektivierbare Gerüchte über angeblich bereits erfolgte Zahlungen einzelner Hilfswerke. Wir von New Ways hatten unabhängig des Beschlusses der Hilfswerkkonferenz in Nairobi beschlossen, dass wir als Institution, respektive Organisation New Ways auf keinen Fall dieser Erpressung, weder direkt noch indirekt, Folge leisten wollen, auch nicht beispielsweise mit einer vorzeitigen Auszahlung der Monatslöhne.

Entsprechend informierten wir über Abdullahi unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gleichzeitig war uns jedoch klar, dass diese dem enormen Druck kaum standhalten werden. Von Médecins du Monde in Paris haben wir erfahren, dass sie - als Organisation mit internationalen Geldgeber-Auflagen unabhängig von uns - das gleiche Vorgehen wählten, und dass auch deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - genau so wie unser Personal - schliesslich durch eine interne Sammlung diesen Betrag zusammentrugen. Laut Nur von Swisso Kalmo, dem Mann der verstorbenen Magda Nur, hätten auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so gehandelt.

Weiterer Verlauf
Wiederholt bekam das geschlossene New Ways Zentrum in den Monaten von September bis Ende November Funktionärsbesuche der Al Shabaab, einmal von ihrem höchsten Gesundheitsminister aus Mogadiscio. Und wiederholt kam es zu Ankündigungen einer Wiedereröffnung des Ambulatoriums von New Ways und Médecins du Monde. Nachdem sich diese Ankündigungen alle schliesslich nie bewahrheitetet hatten, kündigte Médecins du Monde Ende November vorzeitig den Kooperationsvertrag mit New Ways.

Paradoxerweise, aber zum Glück für die Bevölkerung waren die beiden anderen Médecins du Monde Zentren Horseed und Wagadir nie geschlossen, in dieser ganzen Schliessungszeit des von Médecins du Monde geführten New Ways Ambulatoriums. Médecins du Monde zahlte dem arbeitslosen Ambulatorium Personal bis Ende November 2010 die vollen Grundlöhne. Die wirklich Leidtragenden - die Patientinnen und Patienten, die Mütter, die Kinder und die Bauernbevölkerung von Ambe Baanan - wurden entweder in den Zentren Horseed, Wagadir oder durch die italienische Organisation COSV betreut. (Comitato di Coordinamento delle Organizzazioni per il Servizio Volontario)

Ab Januar 2011 übernahm New Ways wieder den Ambulatoriumsbetrieb im Alleingang. Wir bezahlten dem Personal eine Art Arbeitslosengeld ( 80 % des alten New Ways - Lohnes ) mit der Auflage, mit Hilfe des Ältestenrates von Merka bei der Al Shabaab Administration alle Hebel zur Wiedereröffnung des Ambulatoriums - nun wieder unter der alten Führung von New Ways - in Bewegung zu setzen. Dies gelang schliesslich, ebenso unerklärt und scheinbar willkürlich, aber wenigstens zu unsern Gunsten.

Seit dem 20. Februar dieses Jahres ist unser New Ways Ambulatorium wieder offen- einzig die Aktivitäten im Gesundheitsposten Ambe Baanan sind aus ebenso unerklärten Gründen weiterhin nicht erlaubt. Anfangs Februar 2011 erhielten wir von Médecins du Monde Paris die völlig unerwartete Mitteilung, dass sie auf Ende März 2011 ihre beiden Zentren Horseed und Wagadir in Merka schliessen und sich aus ihren somalischen Projekten zurückziehen werde. Konkret heisst das für die lokale somalische Bevölkerung: die von Médecins du Monde breitflächig geplante Gesundheitserschliessung in Merka und Umgebung wird nicht realisiert.

Fazit und Analysen
"Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer" - dieses Zitat von Aischylos trifft leider auch auf die heutige Lage in Somalia zu. Es gab zur Schliessungszeit unsers Ambulatoriums die unzähligsten, widersprüchlichsten Gerüchte über die Ursachen des Willküraktes der Al Shabaab: Die Al Shabaab Administration sei intern zerstritten, Médecins du Monde sei ihr als internationale Organisation zu gross und mächtig geworden, Claninteressen, Intrigen und Neid aus der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter-Gruppe von Médecins du Monde und New Ways sabotierten zusammen mit Al Shabaab diesen Kooperationsversuch. Wir tappten und tappen weiterhin im Dunkel. Natürlich sind auch wir uns bewusst, dass die anhaltende Willkürherrschaft von Al Shabaab auch zu Opportunismus und Mitläufertum in der Zivilbevölkerung führen kann - auch unter Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen.

Fazit ist: Der Versuch einer Kooperation mit Médecins du Monde ist schon in den Kinderschuhen gescheitert. Médecins du Monde hat sich leider in der Folge aus Somalia zurückgezogen. Das sind negative, nicht weg zu diskutierende Fakten. Es gab zeitweise Stimmen in unserem Vorstand, die dazu neigten mit Médecins du Monde -sicher einer viel unflexibleren Organisation als unserer Organisation mit kleinem Budget - wegen ihrer Selbstüberschätzung und ihres abrupten Rückzuges scharf ins Gericht zu gehen.

Doch wir alle wissen letztlich, dass einzig Synergien unter den unterschiedlichsten Nichtregierungsorganisationen der Al Shabaab einen zivilen Widerstand entgegenstellen können. Es zeigte sich nämlich, dass auch arabische und islamische Nichtregierungsorganisationen in ihrer Tätigkeit sabotiert werden.

Und leider ein weiteres Fazit: Nach dieser Erfahrung mit Al Shabaab ist die Suche nach einer nachhaltigen Zukunftsperspektive mit dem Ziel Übergabe von New Ways nicht nur für das Ambulatorium, sondern auch für die Schulen noch schwieriger geworden.

Der positive Fakt: die Zusammenarbeit mit Médecins du Monde hat uns Kontakte ermöglicht, die uns auch in Zukunft offen stehen.

Zudem stehen wir auch weiterhin mit Dr. Hersi in Nairobi in Kontakt, der seinerzeit Médecins du Monde auf uns aufmerksam gemacht hattest und zurzeit für Swisso Kalmo arbeitet.

Und vor allem: das New Ways Ambulatorium ist wieder offen und ist mit der Schliessung von Wagadir und Horseed für die Bevölkerung von Merka notwendiger denn je geworden.

In einem Brief schreibt uns Raba'o Abukar Sheik, die Pharmazeutin unseres Ambulatoriums, die seit 1995 für New Ways arbeitet: "Wir werden nicht vergessen, dass die Anstrengung von Verena Karrer immer noch in Merka fortgesetzt wird, auch nach ihrem Tod, dass das New Ways Komitee beschloss, das Werk fortzuführen wie bisher. Es ist unvergesslich, dass Ihr Euch nachher die grösste Mühe gabt, mit Médecins du Monde eine andere Organisation zu finden um das Werk fortzusetzen. …

…Angesichts der harten Situation in Somalia möchten wir, dass Ihr die Arbeit fortführt bis wir eine Regierung haben, oder dass sich eine andere Organisation findet für eine Übergabe des Werkes ….

…..Wir sind sehr zufrieden über die Schweizerinnen und Schweizer und sehr stolz auf Euch, denn Ihr seid das einzige existierende Projekt in Merka dass gemeindenahe Programme ausführt…."

Diesen Dank wollen wir heute an Euch weiterleiten.

Bigna Rambert Mai 2011

<< zurück zu Aktuell