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Interview mit Bashir Gobdon über die Lage in Somalia, anlässlich der Generalversammlung des "Fördervereins Neue Wege in Somalia", am 9. Mai 2009, im Kirchgemeindesaal Zürich-Aussersihl.

Mit Bashir Gobdon sprach Heinrich Frei.

 
Einleitung

Anfang dieses Jahres zogen die äthiopischen Truppen aus Somalia ab. Der gemässigte Islamist Sharif Sheikh Ahmed wurde neuer Präsident der Übergangsregierung Somalias. Diese Regierung wird aber weiterhin von der radikal islamistischen al-Shabaab bekämpft, die heute einen grossen Teil Somalias kontrolliert, auch Merka. Die Situation in Somalia soll heute schlimmer sein als in der sudanischen Provinz Darfur, sagt die UNO. Bis zu 3,5 Millionen Menschen sollen in Somalia von Nahrungsmittelhilfe abhängig sein.

Frage:Was denkst du zu der heutigen Situation in Somalia, werden sich die verschiedenen Gruppierungen einigen? Ist eine Aufstockung der UNO Truppen sinnvoll?

Bashir: Im Moment bewachen die UNO Truppen nur den Hafen, den Flughafen und die Ministerien der Regierung in Mogadiscio. Wir müssen abwarten. In den nächsten drei, vier Monaten sehen wir in welche Richtung es gehen wird. Die Mehrheit der Bevölkerung will Frieden, Ruhe und keine Gewalt. Die Führer der Islamisten müssten dies akzeptieren und sich auch dazu bekennen. 2006 hatten die Einwohner von Mogadiscio und Umgebung die Islamisten gegen die Warlords unterstützt. Wenn sie diese Unterstützung der Bevölkerung verlieren, begeben sich die Islamisten auf den Weg der Warlords. Sie wissen dies. In den nächsten zwei, drei Monaten wird sich zeigen in welche Richtung sie gehen, also in Richtung der Warlords oder in eine Richtung zum Wohle der Bevölkerung. Die Bevölkerung will Ruhe und Ordnung zurückhaben, denn die Bevölkerung hat zwei Jahre lang Schlimmes erlebt.

Frage: Aber die heutige Regierung ist nicht auf Seite der Warlords?

Bashir: Nein. Die heutige Regierung ist eine machtlose Regierung. Sie hat zwar den Willen der Bevölkerung umgesetzt, die verlangte, dass die äthiopischen Soldaten abziehen. Sharif Sheikh Ahmed verhandelte mit der früheren Regierung, setzte den Abzug der Äthiopier durch und ist so an die Macht gekommen. Jetzt sind dort 520 Parlamentarier die jeden Monat einen Lohn erwarten. Die heutige Regierung hat keine Mehrheit unter den Islamisten, sie müsste mit den ehemaligen Freunden Kontakt aufnehmen, mit ihnen zusammenarbeiten, statt gegen sie zu kämpfen.

Frage: Und denkst du, dass sie sich einigen werden?

Bashir: Es ist offen. In den nächsten zwei drei Monaten werden wir dies wissen, wer an den Friedensgesprächen teilnimmt und wer sich weigert.

Frage: Eine Bedingung der Islamisten wurde jetzt erfüllt: die Einführung des islamischen Rechtes, der Scharia, durch das Parlament und die Regierung.

Bashir: Genau. Das ist jetzt erfüllt, aber dies muss auch gezeigt werden. Die Scharia ist nicht nur ein Wort. Die Menschen die andere ermordet haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden, schnell. Es muss gezeigt werden, dass wieder das Recht einzieht.

Frage: Also, du denkst, der Abzug der UNO Truppen wäre sinnvoll?

Bashir: Dies kommt erst wenn sich die beiden Parteien geeinigt haben.

Frage: Weil sich die heutige Regierung sich auf diese UNO Truppen stützt?

Bashir: Genau. Weil die heutige Regierung keine Kontrolle über das Land hat. Der grösste Teil des Landes ist in der Hand der Islamisten. Alle müssten sich einigen.

Frage: Dieser Sharif Sheikh Ahmed, der heutige Präsident, war auch einer der Führer der Union der islamischen Gerichte die das Land 2006 kontrolliert haben?

Bashir: Genau, aber er hat eine andere Politik verfolgt. Er hat gesehen, dass die äthiopischen Truppen mit Gewalt die Union verdrängt haben. Er hat eine andere Politik versucht, nicht mehr Gewalt gegen Gewalt. Der heutige Präsident hatte, bevor er an die Macht kam, auch die damalige Regierung von Abdullahi Yusuf kontaktiert, ihr angeboten zusammenzuarbeiten. Er vereinbarte mit Abdullahi Yusuf, dass die Äthiopier vier Monate später abziehen. Dann hat Sharif Sheikh Ahmed aber eine andere Politik verfolgt: Er zementierte seine persönliche Macht und hat seine früheren Kollegen ausgelassen. Jetzt muss er beweisen, dass er mit seinen früheren Freunden wieder zusammenarbeiten will. Er kann nicht nur in der Regierung sitzen ohne Macht. Sharif Sheikh Ahmed hat in den Medien versprochen er werde alles tun was möglich ist.

Frage: Auf unsere Aufforderung hin schilderten verschiedene Sekundarschüler und Schülerinnen in Merka ihre Situation und auch ihre Zukunftspläne. Fast alle wollen an einer Universität studieren. Ist dies realistisch?

Bashir: In der somalischen Kultur ist dies normal, realistisch. Jeder träumt von irgendeinem Universitätsabschluss, weil die Armut wie wir sie hier kennen und die Armut wie wir sie in Somalia haben etwas ganz anderes ist. Wenn man dort in Armut lebt, kann man auch studieren, wenn das möglich ist. Denn die frühere Regierung hat alles bezahlt, bis zur Universität.

Frage: Also unter Siad Barre, der 1991 gestürzt wurde? Aber das waren auch nur sehr wenige Leute?

Bashir: Es waren wenige, aber trotzdem wurden viele Leute ausgebildet. Dieser Traum studieren zu können, besteht heute noch. Viele haben damals auch im Ausland studiert. In Mogadiscio und Umgebung gibt es einige Universitäten, aber die sind privat, dort muss man bezahlen, das Studium ist nicht mehr gratis wie zu Zeiten Siad Barres. Es gibt dort verschiedene Fakultäten. Es gibt auch Menschen die mit der finanziellen Unterstützung ihrer Angehörigen im Ausland in Mogadiscio studieren. Es gibt die Abmachung mit Verwandten im Ausland: Du bleibst in Somalia und ich zahle dir das Studium in Mogadiscio.

Frage: Könnten die Schüler nicht in einen Beruf lernen, auf somalische Art? Zum Beispiel bei einem Schreiner, in einer Autoreparaturwerkstätte?

Bashir: Das Problem ist, die meisten Werkstätten, die sich zum Beispiel mit elektrischen Installationen befassen, sind Familienbetriebe. Als Familienmitglieder sind sie in diesen Beruf hineingekommen, um ihre Familie zu ernähren, weniger mit grossen Fachkenntnissen. In diesen Betrieben werden nicht noch andere Leute von ausserhalb geschult. Der Vater war Elektriker und der Sohn macht weiter usw.

Frage: Dein Vater hatte ein Restaurant?

Bashir: Ja, wir hatten ein Restaurant und mein Vater war Gemüsehändler, so kommen diese Tätigkeiten zustande. Es ist schwierig jemanden von ausserhalb da einzuführen. Vielleicht wird dies in Zukunft möglich werden, wenn das Land stabiler wird. Aber heute träumen die meisten den Traum einer höheren Bildung.

Frage: Kannst du dir vorstellen, dass Abdullahi der heute New Ways leitet, zusammen mit Professor Roble die Leitung übernehmen könnte, kollektiv? Roble möchte nach Merka zurück, sobald die Situation sich verbessert, hörten wir.

Bashir: Wir müssen abwarten bis Roble zurückkommt. Wir müssen nicht hier planen was sie machen sollen. Wir müssen uns nicht einmischen, denn wir wissen auch nicht was dort läuft.

Frage: Wie siehst du die finanzielle Unterstützung von Ambe Banaan. Wir finanzieren jetzt dort den Betrieb des Sanitätspostens. Vorher zahlten wir den Bau eines einfachen Schulgebäudes und den Bau eines Häuschens für den Sanitätsposten.

Bashir: In den letzten vier Jahren war ich nie mehr in Ambe Banaan. Aber mein Herz liegt dort, ich habe dort diese Armut gesehen, in der die Menschen leben. Es ist die allerwichtigste Unterstützung die wir machen können. Diese Menschen dort brauchen Hilfe. Es ist gut, wenn auch dort die Kinder in die Schule gehen und medizinisch versorgt werden.

Frage: Das Ambulatorium, die Primar- und Sekundarschule und die Reinigungsequipen, mit mehr als 90 Angestellten, sind heute fast vollständig von unseren Geldüberweisungen abhängig. Die Einnahmen die sie selber erwirtschaften sind sehr klein. Wie siehst du dies in Zukunft? Gibt es eine Möglichkeit, dass sie diese Einrichtungen selber übernehmen?

Bashir: Wir haben keine andere Möglichkeit. Was möglich in Somalia ist, wäre die Privatisierung der Einrichtungen. Das wäre ein Weg.

Frage: Also, dass alle Schüler und alle Patienten des Ambulatoriums bezahlen müssen?

Bashir: Ja, das wäre ein Weg.

Frage: Dann können die Armen gar nicht zahlen. Sie würden keine medizinische Versorgung erhalten und ihre Kinder könnten sie nicht in die Schule schicken?

Bashir: Ja, Ja, wir werden sehen was kommt. Wir wissen nicht was kommt. Wir selber hier in unserem Verein wissen nicht, ob wir in Zukunft genügend Geld haben, um die Einrichtungen in Merka weiter zu unterstützen.

Heiri: Wir können diese Probleme von hier aus auch nicht lösen und wissen nicht, ob die Regierung diese Einrichtungen später unterstützen wird.

Bashir: Wir haben seit Jahren diese Einrichtungen in Merka unterstützt, auch seit dem Tod von Vre. Wir können stolz sein. Wir können die Probleme Somalias nicht lösen, heute und morgen. Wir haben gemacht was wir können.

Frage: Wie kann man Menschen aktivieren, ihr Leben selbst in die Hand nehmen ohne finanzielle Zuschüsse?

Bashir: Von hier aus können wir die Menschen dort nicht ändern. Die Leute dort haben ganze andere Vorstellungen. Sie haben ganz andere Probleme und Konflikte. Sie haben anderes erlebt als wir. Man kann unsere Vorstellungen nicht dorthin transportieren. Wir müssen akzeptieren wie sie dort leben, genau wie wir auch in einer bestimmten Art leben.

Frage: Ist die Frauenbildung nicht in Gefahr, wenn die Scharia eingeführt wird? Zum Beispiel wie in Afghanistan, wo die Taliban den Mädchen verbieten in die Schule zu gehen?

Bashir: Die Scharia sichert, dass jeder Mensch zu seinem Recht kommt. Das ist kein Problem. Die Frage ist, wer leitet die Scharia. Es ist eine Frage der Menschen. Jede Regierung macht Fehler, genau so ist es bei der Scharia. Aber das hat nichts mit der Scharia zu tun. Jeder kommt mit der Scharia zu seinem Recht, ob er nun eine Frau oder ein Mann ist, gesund oder krank. Wenn es schief geht, liegt es an den Menschen, nicht am Propheten.

Frage: So viel ich orientiert bin können in Saudi-Arabien, das auch die Scharia hat, dennoch die Mädchen die Schulen besuchen.

Bashir: Aber das Land ist wohlhabend. Man kann Afghanistan nicht mit Saudi Arabien und Somalia vergleichen. Jedes Land hat eine eigene Kultur, eine eigene Mentalität, ein eigenes Schicksal.

Frage: Roger Middleton von Radio BBC schrieb, die Piraterie sei das Symptom von viel grösseren Problemen in Somalia. Die Piraterie sei zwar für die Nationen ein Problem und für die Seeleute desaströs, aber für Millionen Somalier sei dies ein kleines Problem angesichts der Realität mit der sie täglich konfrontiert werden.

Bashir: Seit so viel von den Piraten in den Medien gesprochen wird, haben sich viele Leute bei den Seeräubern gemeldet. Schüler verlassen die Schule und sagen, ich will morgen mitmachen. Die Piraten bekommen mehr Angestellte.

Frage: Ist es sinnvoll, dass die Schweiz Soldaten auf Schiffe schickt, um sie vor Piraten zu schützen?

Bashir: Das bringt nicht viel, ob die Schweizer da nun mitmachen oder nicht. Solange die Probleme im Land nicht gelöst sind, kann man nicht auf dem Meer die Probleme lösen. Millionen Menschen sind arbeitslos. Sie riskieren dies. Das Problem sind nicht nur die Piraten. Wir haben auch ein Flüchtlingsproblem. Jeden Monat haben wir 300 oder 400 Menschen die ertrinken auf ihrer Flucht nach Jemen oder im Mittelmeer vor Libyen. Davon spricht man nicht. Die Menschen wollen flüchten. Solange die Situation in Somalia so schlecht ist, werden sie flüchten. Zu den Piraten gehen und dort Millionen verdienen, ist der grosse Traum. Viele riskieren aber auch das Leben, um nach Libyen zu gelangen. 300 verlieren das Leben. Die Angehörigen hören dann: Er ist schon in Italien gelandet. Er telefoniert: "Ich bin schon in Rom." Aber von denen die umgekommen sind, hört man nichts. 300 Nachbarn, Schulkollegen denken dann, sie flüchten auch. Und jetzt diese BBC Informationen in denen ständig von Piraten die Rede ist, durch sie werden die Leute animiert mitzumachen, sie haben eine Arbeit gefunden. Da war letzte Woche eine Frau. Ihr Sohn war verschwunden. Und drei Tages später war er in der Hand der Amerikaner, die gegen die Piraten im Einsatz waren. Er ist 19-jährig. Jetzt ist er in Amerika und wird dort vor Gericht gestellt.

Frage: Ich verstehe nicht recht, warum sind diese Schiffsbesatzungen nicht einfach bewaffnet und schiessen auf diese Piraten? In Merka sind die Wächter auch bewaffnet? Ob die Wächter heute noch bewaffnet sind, unter den Islamisten die Merka kontrollieren, weiss ich jedoch nicht.

Bashir: Da sind zwei, drei Ortschaften in Puntland wo die Piraten sind. Da könnten die Somalier das Problem lösen nicht die Europäer, aber dies wäre auch sehr schwierig. Die Piraten dort sind verhängt mit den örtlichen Machthabern. Es ist wie die Mafia in Italien. Sie haben Geld, Waffen, Anhänger und Clans machen mit. Es sind nur drei, vier Gruppen die an der Piraterie beteiligt sind, die dies riskieren. Mehrheitlich sind die Piraten in Puntland. Die Regierung dort bekommt vielleicht ein Teil dieser Lösegelder. Es gibt Gerüchte, dass von Kenia aus die Piraten Informationen bekommen, wo Schiffe zu finden sind. Denn für die Piraten ist es unmöglich zu wissen, wo die Schiffe gerade sind, welchen Kurs sie einschlagen. Es steckt eine internationale Mafia hinter dieser Piraterie in Somalia.

Vielen Dank

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